theatercompagnie Tagträumer
I'm a stranger here myself
Eigenproduktion. Ein musikalisch-literarischer Briefwechsel.
Die Beziehung zwischen Kurt Weill und Lotte Lenya.
Regie Veronika Brendel
mit Uta Eckhardt, Christof Fleischer
Musik Annemarie Roelofs, Elvira Plenar

«Aber Liebling, du kommst doch gleich nach meiner Musik.» Dieser Satz ist paradigmatisch für die stürmische Beziehung zwischen Kurt Weill und der Sängerin Lotte Lenya - auf künstlerischem Terrain ergänzten sie sich, im privaten Leben strauchelten sie entlang diverser Liebhaber und erneuter Hochzeit durch emotionale Höhen und Tiefen.
     Sie waren ein ungleiches Paar: Kurt Weill (1900-1950), aus einem jüdisch-religiösen bürgerlichen Elternhaus, der Vater Kantor in Dessau, wurde durch seine Familie früh in seinen musikalischen Begabungen gefördert.
     Lotte Lenya (1898-1981), als Karoline («Linnerl») Blamauer in Wien geboren, Vater Fiaker, Alkoholiker, Familientyrann, flieht 15jährig zunächst nach Zürich, wo sie sich mit kleinen Rollen und Prostitution durchschlägt, und von dort nach Berlin. Als Haushaltshilfe arbeitet sie in der Familie des Dramatikers Georg Kaiser und begegnet dort 1924 dem Komponisten Kurt Weill. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten und die ungewöhnliche Liaison zwischen dem Schöpfer der Dreigroschenoper und seiner Muse, für die er seine schönsten Frauenrollen schrieb und die als Sängerin und Schauspielerin Karriere machte, überdauerte die Flucht aus Nazi-Deutschland, das Exil in Frankreich und den USA, zahlreiche Seitensprünge, zwei Hochzeiten und eine Scheidung und endete erst mit Weills Tod 1954 in New York.
     Wann immer sie durch ihre künstlerische Arbeit getrennt waren, schrieben sie sich, und so ist nicht nur ein persönliches Buch entstanden, sondern auch ein Zeitdokument, das Einblick in die Kulturwelt der Weimarer Republik bis zum amerikanischen Showbiz bietet.

     «Hiermit berufe, bevollmächtige und bestelle ich meine Ehefrau Karoline Weill als alleinige Vollstreckerin dieses meines letzten Willens und Testamentes und ordne an, daß sie vom Erfordernis der Leistung einer Sicherheitskaution befreit sein soll.
    Ich übergebe, hinterlasse und vermache meiner Frau Karoline Weill uneingeschränkt und für immer alle restlichen Reinnachlässe und Anwartschaften auf mein Vermögen, mobil oder immobil oder verbunden, wo immer dasselbe sich befinden mag.»

    Testament Kurt Weills vom 25. März 1944

    «Fünf Wochen sind nun vergangen seit Kurt starb, und ich bin noch keinen Schritt weiter gekommen. Das einzige, was mich hier zurückhält, ist seine Musik und der einzige Wunsch, den ich habe, alles was ich in den 25 Jahren durch ihn gelernt habe, diese Musik zu verteidigen, sie am Leben zu erhalten und was immer in meiner Macht steht dafür zu tun. Wirklich wenige wissen von seiner Bedeutung, besonders hier, wo man ja nur einen Teil seiner Werke kennt. Und ich glaube, darin werde ich eine Lebensaufgabe finden, diese Musik bekannt zu machen. Alles ist noch sehr verschwommen und ich weiß noch nicht, wo anzufangen ... Und immer wieder fällt mir die letzte Zeile vom Silbersee (den er mit Georg Kaiser schrieb kurz bevor Hitler kam) ein: "Wer weiter muß, den trägt der Silbersee" ...
    Ich hoffe, daß ich auf dem rechten Weg bin, für ihn weiter zu leben, so daß er nicht zu schnell vergessen wird in einer Zeit, die keine Zeit hat, sich zu erinnern was gestern war.»

    Lotte Lenya 11. Mai 1950


Annemarie Roelofs, Elvira Plenar


     «... im Wechsel tragen Weill und Lenya mal ärgerlich, mal liebevoll kommentierend ihre Texte vor, während die Musiker (Annemarie Roelofs, Elvira Plenar und Johannes Krämer) das Werk des Komponisten im "Zeitraffer" abspulen. Der Zuschauer erhält so gleichzeitig einen Einblick in das Leben der streitbaren Liebenden und die musikalische Entwicklung Weills. Diese Verbindung ist mehr als berechtigt, denn es war die Kunst, die Weill und Lenya zusammenhielt und wieder auseinandertrieb. Auf der einen Seite verzweifelte sie an seiner Besessenheit, mit der er ans Komponieren ging, auf der anderen Seite inspirierte sie ihn durch die rauchig-leidenschaftliche Interpretation seiner Stücke. "Wenn ich mich nach dir sehne, so denke ich am meisten an den Klang deiner Stimme."
     Aber die Musik vermag noch mehr in dieser Aufführung. Roelofs, Plenar und Krämer lassen im Wechsel an Piano, Posaune, Geige und Schlagzeug auch ein Porträt jener Orte und Zeit entstehen, in denen Weill und Lenya lebten. So skizzieren beispielweise glamourös-erotische Chansontakte aus "Royal Palace", das Weill 1927 schrieb, den avantgardistischen Charakter der intellektuellen Szene, in denen sich die beiden im Berlin der Zwanziger Jahre bewegten. Zitate aus der "Dreigroschenoper" erhellen Weills Beziehung zu Brecht. Die rasche Adaption Weills an das Leben in den Vereinigten Staaaten, wohin er und Lenya emigriert waren, spiegelt sich akustisch wieder in seinen Broadway-Kompositionen, die - unter dem Einfluss Gershwins - Elemente aus Soul und Gospel aufnehmen ...
     Obwohl sich Weills Charakter in seinen Worten nur schwer erfassen lässt - im Vergleich zur impulsiven Lenya drückt er sich eher diskret und sachlich aus -, entsteht mit Hilfe der Musik in der mehr als zweistündigen Aufführung ein temperamentvolles, abgerundetes Porträt des schwierigen Paares. Zu Recht wurden Schauspieler und Musiker mit donnerndem Applaus belohnt.»

     FAZ vom 06.10.1999


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