theatercompagnie
Tagträumer
Die Stumme
von Chahdortt Djavann
Dramaturgie Uta Eckhardt, Veronika
Brendel
Licht Johannes Schmidt
Kostüme Marieluise Macey
Regie Veronika Brendel
mit Ingeburg Amodé, Uta Eckhardt, Gudrun Schnitzer, Betisa
Shayazadehr
Inhalt
Fatemeh ist fünfzehn Jahre alt. Sie sitzt in einem Iraner Gefängnis und
wartet auf ihre Hinrichtung. Wie es dazu kam, vertraut sie einem
Tagebuch an – damit niemand ihre geliebte Tante, "die Stumme", und sie
selbst vergessen wird. "Ich will nicht mit diesem Hass sterben, der mich
erfüllt und auszehrt, ich will nicht mit diesem tief in mir
eingegrabenen Schmerz gehängt werden. Ich will ihn nicht mit ins Grab
nehmen, sondern in Frieden sterben, befreit, ich muss mir den Schmerz
aus dem Herzen reißen, meinen Hass in dieses Heft bannen", schreibt
Fatemeh in ihrer Zelle.
Die Stumme war nicht von Geburt an stumm. Erst
seit sie im Alter von zehn Jahren Zeugin wurde, wie ihr Vater ihre
Mutter zu Tode prügelte, kam nie wieder ein Wort über ihre Lippen.
Inzwischen ist aus dem kleinen Mädchen eine 29-jährige, attraktive Frau
geworden, die nach ihren ganz eigenen Gesetzen lebt: Sie weigert sich,
ein Kopftuch zu tragen, kleidet sich in den farbenprächtigsten
Gewändern, läuft barfuß, raucht. "Sie war anders. So war unerhört
anders. Sie war so frei wie ein Mann und so gründlich wie eine Frau."
Fatemeh ist fasziniert von dem Freiheitsdrang ihrer Tante. Doch in einer
Welt, in der die Mullahs regieren, bleibt dies nicht unbestraft. Und als
die Stumme sich dem Mann hingibt, den sie liebt, kommt es zu einer
Katastrophe.
Da die Stumme dem Mullah versprochen war, wird ihr Verhalten bestraft.
Sie soll gesteinigt werden. Ihr Bruder – Fatemehs Vater – kann beim
Revolutionskomitee bewirken, dass sie nicht den Tod durch Steinigung
erleiden muss, sondern dass man sie nur hängt. Der Preis ist, dass
er seine 13-jährige Tochter dem Mullah zur Frau geben muss. Sie fügt
sich und bekommt bald ein Kind. Doch sie steckt so voller Verachtung und
Resignation, dass sie den Mullah, als er eines Nachts in ihr Bett kommt,
mit einem Messer tötet. Auch sie erhält ein Todesurteil und wartet in
ihrer Zelle auf ihre Hinrichtung.
Absicht
Im Iran veränderte die Einführung eines islamischen Strafgesetzbuches
das gesellschaftliche Zusammenleben von Grund auf. "Das Leben einer Frau
war im Vergleich zu dem eines Mannes nur die Hälfte wert. Wenn zum
Beispiel beide auf der Straße von einem Auto angefahren wurden, war die
Entschädigung, die der Familie der Frau zustand, nur halb so hoch wie
die, die der Familie des Mannes zustand", schreibt Shirin Ebadi in ihrem
Buch "Mein Iran". Junge weibliche Gefangene wurden angeblich vor der
Hinrichtung vergewaltigt, um sicher zu gehen, dass sie verdammt werden,
denn Jungfrauen kommen, wie es hieß, sofort in den Himmel.
Mit ihrem
Roman "Die Stumme" greift Chahdortt Djavann ins Zentrum der
Unterdrückung und zeigt durch die Biografie der Stummen und der jungen
Fatemeh, wie die Frau zum "Ding", zur "beweglichen Habe" wird.
Nicht wenige junge Iranerinnen reagieren wie die Protagonistinnen auf
die Unerträglichkeit ihrer Situation mit Verweigerung, Widerstand oder
Handlungen, die dem Straftatbestand entsprechen und in der Regel zu
deren Todesurteil führen.
Das Anliegen der Autorin Chahdortt Djavann ist
es mit ihren Büchern und Essays auf die Missstände im Iran – speziell
auf die Unterdrückung der Frauen – aufmerksam zu machen. Mit der
Dramatisierung des Romans wird die theatercompagnie Tagträumer das
Publikum mit zwei Frauenschicksalen konfrontieren, die bis heute
Realität im Iran sind.
Wir hoffen einen ähnlichen Erfolg wie bei
unserer Inszenierung der "Vagina
Monologe", als wir 1993 Eve Enslers Monologe u. a.
über die Gewalt gegen Frauen auf die Bühne des Gallustheaters brachten.
Mit über 100 Aufführungen in ganz Deutschland wurde es zu unserem bisher
erfolgreichsten Stück.
Die Autorin
Chahdortt Djavann, 1967 im Iran geboren, verbrachte ihre Kindheit und
Jugend in Teheran. Djavann war zwölf Jahre alt, als Khomeini 1979 im
Iran die Macht ergriff, Terror und Gewalt in ihr Leben drangen.
Rebellisch und mit kindlichem Eifer schloss sie sich heimlich einer
regimekritischen Schülerorganisation an und kämpfte verzweifelt gegen
die täglichen Demütigungen. Ihr Vater wurde im Zuge der Islamischen
Revolution verhaftet. 1993 gelang es ihr, über Istanbul nach Frankreich
zu fliehen, wo sie Sozialwissenschaften studierte.
Chahdortt Djavann ist Autorin mehrerer
Sachbücher und Essays über die Gefahren des Islamismus. Nicht nur ihre
schriftstellerischen Werke, die in Frankreich auf der Bestsellerliste
landeten, sondern auch ihre aktive Beteiligung an der Kopftuchdebatte
etablierte sie über Frankreichs Grenzen hinaus zur anerkannten und
vielzitierten Islam-Expertin. Immer wieder macht sie auf die aktuelle
politische Lage der Frauen im Iran hin. Im September veröffentlichte sie
unter anderem einen offenen Brief an die westlichen Regierungschefs.
Chahdortt Djavann lebt heute in Paris.